Anfang Woche war ich an der grossen Interiordekorations-Messe Maison & Objet in Paris. Hier kaufen Boutiquebesitzer Wohnaccessoires, Textilien, Geschirr, kleine Möbel, Tapeten, Stoffe und Spielsachen ein. Sie suchen aber auch Ideen und Stimmungen. Denn Wohnaccessoires sind – wie Kleider, Geschichten und Träume – Teile eines Ganzen. Erst so verzaubern sie und werden begehrenswert.
Trends sind, in dem Moment, wo sie jeder umsetzt, eigentlich schon lange nicht mehr im Trend. Die voraussehenden Profis hingegen kreieren Welten, die eine neue Richtung, eine Tendenz spürbar machen. Ich habe hier meine Eindrücke von der Messe in kleine Moodboards verwandelt, damit Sie sich schon mal einstimmen können auf die Dinge, die in der nächsten Zeit wohnmässig auf Sie zukommen.
Mit den schönen Dingen für das Zuhause ist es so ähnlich wie mit den Kleidern: Sie sind Ausdruck einer Stimmung, der Persönlichkeit, ein gelebter Traum und erlauben einem, kreativ und spielerisch zu sein. So blickt man gerne in die Vergangenheit oder in die Ferne, entdeckt dort ein Geheimnis, Spuren und Bruchstücke, die zu Neuem inspirieren. Die Zeit Ende des 19. Jahrhunderts ist dafür besonders gut geeignet. Da war die Welt ganz klar in Reich und Arm geteilt, und die Reichen lebten ihren Überfluss in Prunk, Pracht und manchmal auch in Melancholie und Romantik aus und kreierten eine unerreichbare und dadurch begehrenswerte Welt. Kein Wunder, hat der wunderschöne Film Anna Karenina den englischen Interiorzaren Andrew Martin (Bild 1) inspiriert. Der Stand des Designers ist jedesmal mein ganz persönliches Highlight. Denn er schafft es, eine zauberhafte Welt zu gestalten, in der man ein bisschen träumen kann und man vergisst, dass man sich eigentlich in kommerziellen Verkaufshallen befindet. Bei Andrew Martin fühlt man sich hinter den Kulissen einer interessanten, geheimnissvollen Welt, wie ein Kind auf den Dachboden, das verborgene Schätze entdeckt. Da ist das Filmplakat von Anna Karenina übergross als Tapete aufgezogen, Möbel, Antiquitäten und Wohnaccessoires sind gekonnt zufällig hingestellt, so dass man gleich Lust bekommt, drin zu wohnen. Aber auch andere Stände spielten mit dem Glanz dieser Epoche. Da sind zum Beispiel Neuauflagen und Interpretationen von Künstlern aus jener Zeit zu finden – wie etwa das wunderschöne Geschirr im Stil des Venezianers Mariano Fortuny (Bild 2). Dieser ist vor allem wegen seinen Kleidern aus wunderschönen Plisséestoffen bekannt, die die damaligen Reichen und die Schönen zierten. Die Firma l’Objet pour Fortuny aber bringt nun edle Stücke in diesem Stil wieder auf den Markt. Schauen Sie sich wieder mal den Film «The Age of Innocence» von Martin Scorsese an. Die Intereriorszenen, vor allem die gedeckten Tische, zeigen genau diese Pracht. Die zauberhafte Porzellanvase auf Bild 3 ist von Meissen und die freche Interpretation von edlem Porzellan auf Bild 4 ist von der italienischen Firma Seletti.
Jahrelang waren in den Hallen der Pariser Messe Maison & Objet die Landhausmöbel dominant. Nun aber werden sie langsam von einem eklektischen Multikultimix verdrängt. Folklore aus Russland, asiatische Trouvaillen, persische Textilien oder marokkanisches Kunsthandwerk leuchten in sinnlichen Farben aus den Messetänden heraus und man wähnt sich fast auf einem luxuriösen, orientalischen Basar. Es sind keine Gesamtwelten, die da einziehen wollen, sondern nur Einzelstücke, Elemente, Blickfänger. Da hebt sich der Ethno-Mix deutlich von der weiss-beige-grauen Landhauswelt ab. Vielleicht braucht man ganz einfach nach so viel ländlicher Abgeschiedenheit im Wohnbereich eine kleine Reise ins Farben- und Musterland. Nicht alles, das fremdländisch aussieht, ist aber Original. Da ist viel Platz für Neuinterpretation, wie etwa die wunderschönen, gemusterten Textilien von Hoff (Bild 1). Bei Andrew Martin waren Dinge aus aller Welt von Anfang an ein wichtiger Bestandteil des Sortiments und des Interiorstils. Prunkstücke der Saison sind Stühle, die mit turkmenischen Stoffen bezogen sind (Bild 2). Ganz wichtig sind auch die Teppiche, hier haben die traditionellen, kirgisischen Filzteppiche Shyrdak der Schweizer Firma Feel Felt einen wichtigen Platz. Dass sie auch in moderne Umgebungen passen, beweist das Bild 4. Die schönsten asiatischen Trouvaillen bietet die Firma Asiatides an (Bild 5), in diesem Stand wird man in moderne, starkfarbige, asiatische Wohnwelten entführt.
Ja, auch seltsame Welten können Lust auf Wohnen machen. So heisst denn eine Trendwelt, die die Messeleitung von Künstlern gestalten lässt Renaiscience – also eine Wiedergeburt der Wissenschaft (Bild 1). Die Räume waren gestaltet wie das Kabinett des Dr. Caligari, einem Kult-Horrorfilm aus der frühen Stummfilmzeit. Da ist aber auch ein Hauch Jules Verne, ein bisschen Gotik und natürlich Glamour. Denn das Glas und Metall, die Strukturen, Farben und Formen kommen vor dem dunklen, mysteriösem Hintergrund sehr edel dahe r(Bild 3). Die schönen, neuen, zweifarbigen Vasen auf Bild 6 sind von Pols Potten. Die Möbel und Accessoires, die in dieser Welt entstanden, sind denn auch ein wenig anders, als erwartet. Wunderschöne Beispiele sind: der Stuhl von Ibride (Bild 2). Er ist aus der neuen Serie Hidden Chairs und heisst Hidden Wagner. Es gibt aber auch noch den Hidden Shaker und den Hidden Terence – alles verrückte Interpretationen von Klassikern. Ibride ist eine französische Firma, die sich dem Märchenhaften, Zauberhaften verschrieben hat. Ihre Tiermöbelstücke, wie Diva (das Straussenregal) oder Bambi (die Konsole) sind berühmt gewordene Stücke. Neu in dieser Serie sind Raben (Bild 4). Sie heissen «The Ravens» und sind Dekoobjekte oder Kleinstregale. Auch im seltsamen Labor eines gruseligen Interior-Wissenschafters ist der langgezogene Teller von Seletti entstanden (Bild 5).
Treue Sweet-Home-Blog-Leser wissen es: Stil hat weniger mit Geld, sondern viel mehr mit Fantasie zu tun. So sind denn auch die persönlichsten, aussergewöhnlichsten und unverwechselbaren Stile schon immer dort entstanden, wo es an Geld fehlte. Da stehen die englischen Bohemians an erster Stelle. Sie waren es, die sich aus der bürgerlichen Gesellschaft herausbewegten und nach neuen Lebensformen suchten. Dass sie dabei natürlich nicht reich wurden, hat ihre Fantasie und ihr Talent zu Neuem angeregt. Die Lust nach Freiheit und Ungebundenheit brachte sie den Zigeunern, die damals oft aus Böhmen kamen, näher und so wurde Bohemia ihr Land der Träume. Das macht den Bohemian-Stil genau attraktiv: Er ist mit Freiheit, Improvisation und Persönlichkeit verbunden. Natürlich haben das die Designer im Mode- und im Interiorbereich auch entdeckt und kreieren Welten und Einzelstücke, die uns dieses Gefühl vermitteln. Tolle Kissen in wunderschönen Farben und Mustern zeigt Taj Wood und Scherer (Bild 1). Tischsets im 70er-Ibizastil gibt es bei Seletti (Bild 2) und die Regale mit Tapetenwand bei Pomax (Bild 3). Auch bei Andrew Martin (Bild 4) herrscht mit dem eklektischen Mix ein Bohemian-Feeling vor, den er mit seinen Möbeln und Accessoires kreiert. Ein leichter, femininer Hippiewind weht durch die dänische Kollektion Tine K Home. Der Korb auf Bild 5 ist ein wunderschönes Beispiel dafür.
Wir sind in der ganzen Flut von Konsum und Überfluss auch irgendwie in eine Sackgasse geraten. Da hilft ein wenig Pioniergeist. Zwar können wir nicht mehr geografisch neue Kontinente entdecken, erobern und dort eine neue Welt aufbauen, aber in der Suche nach Neuem, Nachhaltigerem und Überrraschendem ist definitiv Pioniergeist gefordert. Stimulierend ist deshalb auch ein neuer Wohntrend, der sich aus der Welt der amerikanischen Pioniere bedient. Diese wussten, wie man mit wenig Ressourcen Neues gestaltet. Die Quilts, aus Stoffresten zusammengenähte und gesteppte Decken, und die schlichten Shakermöbel sind gute Beispiele dafür. Da ist aber auch sonst noch viel Praktisches, Urtümliches, Bäuerliches zu finden: karierte Wollstoffe und Decken von Ian Sanderson zum Beispiel (Bild 1) oder von Seletti ein freches Holzkistenmöbel, das sich in der Form von Farmtieren zeigt (Bild 2). Ein Inspirationsraum der Messe zeigte sich auch unter dem Thema Pionier, war aber leider ein wenig langweilig gestaltet (Bild 3). Andere Stücke, die mir aufgefallen sind, sind Kissen und Textilien mit Indianerportraits und farbige Decken mit amerikanischen Indianermotiven. Wer sich ein wenig in diese Stimmung versetzen möchte, liest die wunderschönen Bücher von Willa Cather: O Pioneers und My Antonia beispielsweise.
Die Nahrung beschäftigt uns in der heutigen Zeit des westlichen Überflusses immer mehr, so auch die kreativen Köpfe der Designszene. Sie provozieren, spielen und machen vor allem auf unseren Bezug zu Lebensmitteln aufmerksam. So war auch ein Inspirationsthema ganz dem Essen gewidmet (Bild 1) und wurde mit Leuchtern aus Rüben und Ranunkeln (Bild 2) dekoriert. Es wurde das Irdene, Ursprüngliche und Handwerkliche ausgestellt. An den Ständen fand man auch überall Esswaren, auf ganz unterschiedliche Art interpretiert: grosse gehäkelte Gemüse und Früchte von Anne-Claire Petit etwa (Bild 3) oder Toastbrote aus Holz als Untersetzer (Bild 4) von Atypyk.
Weil Essen und Wohnen in Paris besonders attraktiv ist, möchte ich Ihnen meine kleinen Pariser Freuden nach der Messe hier nicht vorenthalten: Der Ausblick ist aus meinen hübschen Dachzimmer in meinem Lieblingshotel Langlois, das ich Ihnen bereits im Sommer vorgestellt habe: Sweet-Home-Lieblingshotels. Der feine Teller Saucisse Lentille und das Mousse au Chocolat gibt es im kleinen Café de la Comédie, das einen Besuch wert ist, wenn man einmal in Paris ist. Feine, einfach nachzukochende französische Rezepte finden Sie im Kochbuch: Le Petit Larousse des Recettes de Familie.